Jeder verachtet es, aber alle tun es – lügen und das sogar notorisch. Im Strudel der Täuschung beschwört der Lügner die Wahrheit ohne überhaupt noch einen blassen Schimmer von dieser aufweisen zu können. Ist ja auch egal, denn im Zweifelsfall ist die Lüge das beste Imitat der Wahrheit. Das Klischee des politischen Lügners besteht nicht grundlos, was eine genauere Betrachtung der letzten Bundestagswahl leider bestätigt. Aber dabei gibt es markante Unterschiede im Lügen. Wenn sich in den Sondierungsgesprächen der möglichen Ampelkoalition herausstellt, dass nicht alles im Wahlkampf genauso gemeint war, wie es schien – dann ist das etwas anderes als das Lügen von Verschwörungstheoretikern und Akteuren des rechten Milieus, die beispielsweise vor der Wahl mit Falschaussagen Misstrauen in das Briefwahlverfahren geschürt haben.
Wir alle wachsen mit Parolen auf wie: „Ehrlich währt am längsten. Lügen haben kurze Beine. Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht.“ – Die Lüge ist etwas Niederträchtiges, der gegenüber die Wahrheit im schönsten Glanze die ultimative Tugend verkörpert. Aber wahr ist auch: Wir alle tun es und dass aus vielerlei Motiven wie Angst, Scham, Höflichkeit oder Lust. Psychologen sind sich mittlerweile darüber einig, dass das Lügen eine immanente soziale Fähigkeit ist um möglichst konfliktfrei durch Leben zu kommen. Aber was soll das Fazit dieser Beobachtung sein? Sollen wir kopflos Oscar Wilde folgen und aus der Lüge unser gesellschaftliches Fundament gießen?
Warum wird die Lüge also moralisiert, wenn wir es alle tun und unser sozialer Frieden sogar davon abhängt? Schauen wir in die Antike zurück, findet sich eine derartige Verurteilung der Lüge gar nicht. Der Dichter Homer schreibt eine Hommage an den Helden Odysseus, der sich wie kein anderer mit List und Betrug trickreich durchs Leben schwindelt. Auch der Philosoph Platon holt zu einem Lob auf Odysseus und seine Lügen aus: „Der schlaue Lügner ist dem ehrlichen Dummkopf überlegen.“ Denn wer lügt, der muss die Wahrheit kennen oder zumindest ihr Gewand, in dem sie daherkommt. Für unsere Politiker würde das zumindest bedeuten, dass sie um die Wahrheit wissen und sich auch darüber im Klaren sind, dass sie ihre Wähler täuschen, wie der trickreiche Odysseus. Glaubt man Friedrich Nietzsche, dann erfordert das Lügen sogar unsere ganze Erfindungskraft und Intelligenz. „Die Lust an der Lüge, ist die Mutter der Kunst.“ … und wahrscheinlich der Vater der Politik.
Aber nicht jede Lüge ist gleich – ja sie soll uns immer täuschen – aber der Beweggrund ist doch entscheidend. Wenn Verschwörungstheoretiker mit falschen Aussagen Angst verbreiten und unser Vertrauen in unser demokratisches System zerrütten wollen, dann darf und sollte man auch als mündiger Bürger moralisieren. Denn die Lüge lebt davon, geglaubt zu werden und die Wahrheit braucht immer jemanden, der sie aushält.